25.2   Qualifiziertes Verschulden (Art. 25 WA/HP 1955)
Nach dem ursprünglichen WA 1929 legte man als Fahrlässigkeitsmaßstab diejenige Fahrlässigkeit zugrunde, die nach dem Recht des angerufenen Gerichts dem Vorsatz gleichsteht. Dies entsprach im deutschen Recht bis zum Transportrechtsänderungsgesetz vom 01. 07. 1998 der groben Fahrlässigkeit. Nach dem 01. 07. 1998 ist § 435 HGB 1998 zu beachten, wonach lediglich ein qualifiziertes Verschulden zur Haftungsdurchbrechung führt.
Das WA/HP 1955 hat sich dann bemüht, die Anforderungen an den Fahrlässigkeitsbegriff von den Bezügen zu den nationalen Rechtsordnungen der Abkommenstaaten zu lösen und in einer eigenständigen Verschuldensform zu vereinheitlichen. Danach muss eine sich aus dem leichtfertigen Verhalten dem Handelnden aufdrängende Erkenntnis, es werde mit Wahrscheinlichkeit ein Schaden entstehen, hinzukommen. Verlangt wird also in objektiver und subjektiver Hinsicht ein besonders schwerer Fall grober Fahrlässigkeit.
 
 
Urteil 38: Artikel 25 WA/HP 1955 Container und qualifiziertes Verschulden
Werden ohne jeweilige Erfassung durch EDV in einer Zentralverteilungsstelle die Güter aus den Containern entnommen und in die für die jeweiligen Empfangsorte bestimmten Container umgeladen, so ist von einem grob fahrlässigen Organisationsverschulden auszugehen, das seiner Art nach als Ursache für den Verlust des Gutes in Betracht kommt. Es obliegt dann dem Beförderer, die gegen die Ursächlichkeit des Organisationsmangels sprechenden Umstände darzulegen [39].
 
Urteil 39: Artikel 25 WA/HP 1955 Container und qualifiziertes Verschulden
Nicht jede Unterlassung zusätzlicher Sicherheitsvorkehrungen ist schon eine grobe Fahrlässigkeit [40]. Auf den Umstand, dass der von dem Luftfrachtführer eingesetzte Sicherheitsmann das Paket (Armbanduhren) während der Dauer des Warnstreiks vom 16. 05. 1990, 23.30 Uhr, bis zum 17. 05. 1990, 2.00 Uhr, nicht bewacht hat, darf schon wegen Artikel 25 Satz 2 WA/HP 1955 nicht abgestellt werden. Denn nach der nicht widerlegten Behauptung des Luftfrachtführers hat sich der Sicherheitsmann als Mitglied des Bodenpersonals an dem Warnstreik beteiligt und deshalb nicht mehr in Ausübung seiner Verrichtung gehandelt. Leichtfertigkeit erfordert ein (objektiv) grob fahrlässiges Verhalten, das eine auf der Hand liegende Sorgfaltspflicht außer Acht lässt. Das Paket hatte der Sicherheitsmann in einen Luftcontainer gepackt und diesen Container in der Frachthalle stehen lassen, deren Ein- und Ausgänge und deren Laderampe während des Streiks verschlossen und bei der außerdem Streikposten aufgestellt waren. Unter diesen Umständen kann nicht angenommen werden, dass der Sicherheitsmann des Luftfrachtführers auf der Hand liegende Sorgfaltspflichten außer Acht gelassen hat, indem er den Luftcontainer in der verschlossenen Frachthalle hat stehen lassen und keine zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen hat. Im Übrigen setzt die unbeschränkte Haftung des Luftfrachtführers nach Artikel 25 Satz 1 WA/HP 1955 nicht nur ein (objektiv) leichtfertiges Verhalten voraus, sondern erfordert auch das Bewusstsein, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde. Erforderlich ist, dass sich dem Handelnden aus seinem leichtfertigen Verhalten die Erkenntnis aufdrängte, es werde mit Wahrscheinlichkeit ein Schaden entstehen. Dem Sicherheitsmann war zwar schon aus seinem Einsatz bekannt, dass die Pakete in dem Luftcontainer einen erheblichen Wert verkörperten und deshalb besonders diebstahlgefährdet waren. Diese Kenntnis lässt aber noch nicht in überzeugender Weise auf sein Bewusstsein schließen, dass aus dem in der Frachthalle abgestellten Luftcontainer während des Streiks wahrscheinlich ein Paket entwendet werde. Denn die Ein- und Ausgänge und die Laderampe waren während des Streiks verschlossen und außerdem Streikposten aufgestellt, und unter diesen Umständen brauchte sich dem Sicherheitsmann des Luftfrachtführers die Erkenntnis einer wahrscheinlichen Entwendung eines Teils des Inhalts des Luftcontainers während jenes Zeitraums nicht aufdrängen.
 
Artikel 25 WA/HP 1955 (Unbeschränkte Haftung bei besonderer Fahrlässigkeit)
 
Die in Artikel 22 vorgesehenen Haftungsbeschränkungen gelten nicht, wenn nachgewiesen wird, dass der Schaden durch eine Handlung oder Unterlassung des Luftfrachtführers oder seiner Leute verursacht worden ist, die entweder in der Absicht, Schaden herbeizuführen, oder leichtfertig und in dem Bewusstsein begangen wurde, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde. Im Falle einer Handlung oder Unterlassung der Leute ist außerdem zu beweisen, dass diese in Ausführung ihrer Verrichtung gehandelt haben.

Abbildung 28: Artikel 25 WA/HP 1955 (Unbeschränkte Haftung bei besonderer Fahrlässigkeit)
 

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