23.2   Natürliche Beschaffenheit des Gutes und Spezialfahrzeuge (Artikel 17 Abs. 4 CMR)
Artikel 17 Abs. 4 CMR enthält eine Reihe von weiteren Haftungsausschlüssen, die sich jedoch im Gegensatz zu den in Artikel 17 Abs. 2 CMR genannten nur auf die Fälle des Verlustes und der Beschädigung des Gutes beziehen, nicht aber auf Lieferfristüberschreitungen.
 
 
Urteil 32: Art. 17 Abs. 4 CMR Container und natürliche Beschaffenheit des Gutes
Schäden, die durch inneren Verderb verursacht werden (Art. 17 Abs. 4 d CMR), stehen nicht unter dem Vorbehalt von Art. 17 Abs. 3 CMR. Die Verantwortlichkeit des Frachtfüh­rers beim Transport verderblicher Güter (hier: gekühltes Rindfleisch / Kühlung von +2 °C vereinbart) beurteilt sich ausschließlich nach Art. 18 Abs. 4 CMR [33]. Der Kühlanhänger war mit einem Dieselkühlaggregat ausgerüstet, das die Kühlanlage des Aufliegers unabhängig vom Motor oder sonstigen Energiequellen speiste. Zur Ausrüstung dieses als Lkw-Auflieger verwendeten Kühlcontainers gehörten ein die Lufttemperatur im Containerinneren messendes und an der vorderen Außenfront des Containers ablesbares Thermometer sowie ein die Kühlung im Containerinneren regelnder und ebenfalls an der vorderen Containeraußenfront ablesbarer und einstellbarer Thermostat. Ein Thermograph oder eine optisch bzw. akustisch arbeitende Signalanlage zur Warnung vor Kühldefekten gehörte nicht zur Ausstattung dieses Kühlcontainers. Unmittelbar vor dem Beginn des Transports, am 6. 3. 1986, hatte der Frachtführer den Kühlcontainer durch die einschlägige Fachfirma in Dänemark technisch kontrollieren und durch Behebung von Defekten und Nachfüllen von Kühlflüssigkeit betriebsfertig instand setzen lassen. Der Transport musste unterwegs wegen eines Motorschadens der Zugmaschine unterbrochen werden. Der Frachtführer fuhr mit dem Lastzug zu einer Werkstatt bei Paris. Dort koppelte er am Nachmittag des 9. 3. 1986 den Kühlcontainerauflieger von der Zugmaschine ab und ließ den Schaden beheben. Der Kühlcontainer stand während dieser Zeit auf dem Werkstattgelände in der Nähe der Zugmaschine. Der Frachtführer setzte am 10. 3. 1986 die Fahrt mit dem Lastzug fort und traf in der Nacht zum 11. 3. 1986 am Ablieferort ein. Als die Türen des Kühlcontainers geöffnet wurden, entströmte dem Container ein warmer Geruch. Messungen der Luft im Container ergaben für diesen Zeitpunkt eine Temperatur von durchschnittlich rd. +7 °C. Das Fleisch im Container zeigte auffällige Schwitzwassernässe und war teilweise verdorben. Die Verantwortlichkeit des Frachtführers richtet sich nicht nach Art. 17 Abs. 3 CMR. Das ergibt eine Auslegung von Art. 17 i. V. m. Art. 18 Abs. 4 CMR. Dabei ergibt sich schon aus dem Wortlaut und dem Regelungszusammenhang der Bestimmungen, dass Art. 17 Abs. 3 CMR (lediglich) Art. 17 Abs. 2 CMR qualifiziert und die Haftungsausschlüsse des Art. 17 Abs. 4 CMR ausschließlich unter dem Vorbehalt des Art. 18 Abs. 2 bis 5 CMR stehen. So befindet sich die Regelung des Art. 17 Abs. 3 CMR, wonach sich der Frachtführer u. a. nicht auf Mängel des für die Beförderung verwendeten Fahrzeugs berufen kann, unmittelbar im Anschluss an den Befreiungstatbestand des Art. 17 Abs. 2 CMR, aber vor den Ausschlüssen des Art. 17 Abs. 4 CMR. Außerdem ist der Frachtführer gem. Art. 17 Abs. 4 CMR ausdrücklich nur "vorbehaltlich des Art. 18 Abs. 2 bis 5" von seiner Haftung befreit. Schon diese Aspekte sprechen entschieden dagegen, dass Schäden, die durch inneren Verderb i. S. des Art. 17 Abs. 4 d CMR verursacht werden, (auch) unter dem Vorbehalt des Art. 17 Abs. 3 CMR stehen. Es kommt hinzu, dass sich Art. 18 Abs. 4 CMR unter Bezugnahme auf Art. 17 Abs. 4 d CMR mit technischen Mängeln eines Kühlfahrzeugs befasst und insofern als Lex specialis zu Art. 17 Abs. 3 CMR aufzufassen ist. Gäbe man der letztgenannten Norm den Vorrang, so wäre Art. 18 Abs. 4 CMR überflüssig. Der Sinn und Zweck des Artikels 18 Abs. 4 CMR besteht darin, den Frachtführer beim Transport von Gütern, die nach ihrer Eigenart leicht dem Verderb und damit einer höheren Schadenanfälligkeit ausgesetzt sind, nur im Fall seines vermuteten Verschuldens haften zu lassen. Diesem Normzweck wird man nur gerecht, wenn man Art. 18 Abs. 4 CMR auf alle Fälle eines Kühltransports anwendet. Für die Anwendbarkeit des Art. 18 Abs. 4 CMR kommt es damit nur darauf an, ob es sich bei dem transportierten Rindfleisch um ein Gut handelt, das nach seiner natürlichen Beschaffenheit dem inneren Verderb ausgesetzt ist (Art. 17 Abs. 4 d CMR). Auf diesen inneren Verderb des Fleischs und damit die Haftungsbefreiung gem. Art. 17 Abs. 4 d CMR dürfen sich die Beklagten berufen, denn sie haben den nach Art. 18 Abs. 4 CMR erforderlichen Entlastungsbeweis geführt.
 
Die an den Frachtführer zu stellenden Sorgfaltsanforderungen ergeben sich aus Art. 18 Abs. 4 CMR selbst. Nach dem Wortlaut dieser Norm ist der Frachtführer verpflichtet nachzuweisen, dass er alle ihm nach den Umständen obliegenden Maßnahmen hinsichtlich der Auswahl, Instandhaltung und Verwendung der Kühlanlage getroffen hat. Diesen Nachweis hat der Frachtführer hier geführt. Um den Anforderungen des Art. 18 Abs. 4 CMR gerecht zu werden, hat der Frachtführer eine Kühlanlage auszuwählen,
  • die ausreichend dimensioniert ist,
     
  • die Kühlung des Guts während der gesamten Zeit des Transports zu gewährleisten, und
     
  • die es ihm ermöglicht, die Einhaltung der Temperatur zu kontrollieren.
Dass das hier benutzte Aggregat der Marke T. bei ordnungsgemäßer Funktion ausgereicht hätte, das Rindfleisch auf +2 °C abzukühlen und auf dieser Temperatur zu halten, steht nach dem Gutachten des Sachverständigen fest. Entgegen der Auffassung des Anspruchstellers war der Kühlcontainer auch mit allen nach den Umständen erforderlichen Instrumenten zur Kontrolle der Temperatur ausgestattet. Ein Thermograph und/oder eine akustische bzw. optische Signalanlage zur Warnung vor Kühldefekten sind nicht zwingend geboten, wie der Sachverständige ausgeführt hat. Hinzuzufügen ist, dass ein Temperaturschreiber kein Instrument ist, mit dem der Lkw-Fahrer die Temperatur im Innern des Containers (zusätzlich) überprüfen kann. Es dient, wie der Sachverständige in seinem Gutachten zutreffend bemerkt hat, vor allen dem Zweck, den Frachtführer vor einer eventuellen Beweisnot zu schützen. Eine optische oder akustische Signalanlage wäre nur von Nutzen, wenn sie von den sonstigen Kontrollinstrumenten unabhängig ist. Ist sie z. B. mit dem Außenthermometer verbunden, so wäre sie gerade in Fällen der vorliegenden Art wenig hilfreich. Damit ist eine Signalanlage nur als zweites unabhängiges Kontrollsystem sinnvoll. Es wäre aber überspitzt, im Rahmen des Art. 18 Abs. 4 CMR vom Frachtführer zu verlangen, dass er eine solche zweite Kontrollanlage installiert. Denn Art. 18 Abs. 4 CMR verlangt für die Entlastung des Frachtführers neben der Auswahl auch die ordnungsgemäße Instandhaltung des Kühlcontainers. Bei einem regelmäßig gewarteten Kühlgerät kann aber von der korrekten Funktion der vorhandenen Kontrollinstrumente ausgegangen werden, sodass zusätzliche Signalanlagen den Umständen nach nicht erforderlich sind. So schreibt auch der Sachverständige, dass der Einbau einer solchen Anlage zwar zu empfehlen wäre, nicht aber zwingend vorgeschrieben ist. Es wäre indessen fehlerhaft, wenn der Frachtführer für einen verplombten Transport einen Kühlanhänger auswählt, bei dem die Containerinnentemperatur nicht durch ein Außenthermometer überprüft werden kann. Über ein solches Thermometer hat der hier benutzte Kühlanhänger jedoch verfügt. Nach der Stellungnahme des Sachverständigen steht das fest. Dabei ist klargestellt worden, dass sich dieses Thermometer am Kühlaggregat befindet und die an dieser Stelle in den Kühlcontainer ausströmende Luft misst, nicht jedoch die Temperatur des Kühlkreislaufs. Demgemäß darf sich ein Frachtführer darauf verlassen, dass ein Außenthermometer dazu da ist, die vorgegebene Innentemperatur zu kontrollieren. Schon aus dem Wortlaut des Art. 18 Abs. 4 CMR ergibt sich nicht, dass der Frachtführer verpflichtet ist, die Gestellung einer fehlerfrei funktionierenden Kühlanlage nachzuweisen, sondern nur, dass er diese Anlage ordnungsgemäß instand gehalten, d. h. gewartet hat. Folgt man der Ansicht des Anspruchstellers, so könnte sich der Frachtführer praktisch nie auf Art. 18 Abs. 4 CMR berufen, denn danach wäre seine Haftung nur in dem unwahrscheinlichen Fall ausgeschlossen, dass das Fleisch trotz ordnungsgemäßer Kühlung innerlich verdirbt. Dies wäre aber mit der von Art. 18 Abs. 4 CMR angestrebten Risikoverteilung unvereinbar. Schließlich hat der Frachtführer auch die ihm nach den Umständen obliegenden Maßnahmen hinsichtlich der ordnungsgemäßen Verwendung des Kühlcontainers getroffen. Dabei reicht es nicht, wenn der Lkw-Fahrer die geforderte Temperatur einstellt und die Aggregate einschaltet, sondern er muss die Temperatur auch während des Transports kontrollieren. Dies hat der Fahrer nach seiner eigenen Aussage regelmäßig, nämlich im Abstand von rd. zwei bis drei Stunden, getan. Gerade wegen der vorangegangenen Überprüfung des Kühlaggregats hat der Fahrer keinen Anlass gehabt, an dessen Funktionsfähigkeit zu zweifeln und die Temperatur häufiger und anderweitig zu überprüfen.

Artikel 17 CMR (Haftung des Frachtführers; Haftungsausschlüsse)
 
1. Der Frachtführer haftet für gänzlichen oder teilweisen Verlust und für Beschädigung des Gutes, sofern der Verlust oder die Beschädigung zwischen dem Zeitpunkt der Übernahme des Gutes und dem seiner Ablieferung eintritt sowie für Überschreitung der Lieferfrist.
2. Der Frachtführer ist von dieser Haftung befreit, wenn der Verlust, die Beschädigung oder die Überschreitung der Lieferfrist durch ein Verschulden des Verfügungsberechtigten, durch eine nicht vom Frachtführer verschuldete Weisung des Verfügungsberechtigten, durch besondere Mängel des Gutes oder durch Umstände verursacht worden ist, die der Frachtführer nicht vermeiden und deren Folgen er nicht abwenden konnte.
3. Um sich von seiner Haftung zu befreien, kann sich der Frachtführer weder auf Mängel des für die Beförderung verwendeten Fahrzeuges noch gegebenenfalls auf ein Verschulden des Vermieters des Fahrzeuges oder der Bediensteten des Vermieters berufen.
4. Der Frachtführer ist vorbehaltlich des Artikels 18 Absatz 2 bis 5 von seiner Haftung befreit, wenn der Verlust oder die Beschädigung aus den mit einzelnen oder mehreren Umständen der folgenden Art verbundenen besonderen Gefahren entstanden ist:
a) Verwendung von offenen, nicht mit Planen gedeckten Fahrzeugen, wenn diese Verwendung ausdrücklich vereinbart und im Frachtbrief vermerkt worden ist
b) Fehlen oder Mängel der Verpackung, wenn die Güter ihrer Natur nach bei fehlender oder mangelhafter Verpackung Verlusten oder Beschädigungen ausgesetzt sind
c) Behandlung, Verladen, Verstauen oder Ausladen des Gutes durch den Absender, den Empfänger oder Dritte, die für den Absender oder Empfänger handeln
d) natürliche Beschaffenheit gewisser Güter, der zufolge sie gänzlichem oder teilweisem Verlust oder Beschädigung, insbesondere durch Bruch, Rost, inneren Verderb, Austrocknen, Auslaufen, normalen Schwund oder Einwirkungen von Ungeziefer oder Nagetieren, ausgesetzt sind
e) ungenügende oder unzulängliche Bezeichnung oder Nummerierung der Frachtstücke
f) Beförderung von lebenden Tieren.
5. Haftet der Frachtführer aufgrund dieses Artikels für einzelne Umstände, die einen Schaden verursacht haben, nicht, so haftet er nur in dem Umfange, in dem die Umstände, für die er aufgrund dieses Artikels haftet, zu dem Schaden beigetragen haben.

Abbildung 20: Artikel 17 CMR (Haftung des Frachtführers; Haftungsausschlüsse)

 
 
Artikel 18 CMR (Beweislast)
 
1. Der Beweis, dass der Verlust, die Beschädigung oder die Überschreitung der Lieferfrist durch einen der in Artikel 17.2 bezeichneten Umstände verursacht worden ist, obliegt dem Frachtführer.
2. Wenn der Frachtführer darlegt, dass nach den Umständen des Falles der Verlust oder die Beschädigung aus einer oder mehreren der in Artikel 17.4 bezeichneten besonderen Gefahren entstehen konnte, wird vermutet, dass der Schaden hieraus entstanden ist. Der Verfügungsberechtigte kann jedoch beweisen, dass der Schaden nicht oder nicht ausschließlich aus einer dieser Gefahren entstanden ist.
3. Diese Vermutung gilt im Falle des Artikel 17.4 a nicht bei außergewöhnlich großem Abgang oder bei Verlust von ganzen Frachtstücken.
4. Bei Beförderung mit einem Fahrzeug, das mit besonderen Einrichtungen zum Schutz des Gutes gegen die Einwirkung von Hitze, Kälte, Temperaturschwankungen oder Luftfeuchtigkeit versehen ist, kann sich der Frachtführer auf Artikel 17.4 d nur berufen, wenn er beweist, dass er alle ihm nach den Umständen obliegenden Maßnahmen hinsichtlich der Auswahl, Instandhaltung und Verwendung der besonderen Einrichtungen getroffen und ihm erteilte besondere Weisungen beachtet hat.
5. Der Frachtführer kann sich auf Artikel 17.4 f nur berufen, wenn er beweist, dass er alle ihm nach den Umständen üblicherweise obliegenden Maßnahmen getroffen hat und ihm erteilte besondere Weisungen beachtet hat.

Abbildung 21: Artikel 18 CMR (Beweislast)

 

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